In dieser Woche tritt der Karneval in den deutschen Faschingshochburgen im Rheinland und in Baden-Würtemmberg in die heiße Phase ein, die Karnevalisten werden nochmal feucht-fröhlich feiern, ehe am Aschermittwoch dann mit dem Beginn der Fastenzeit erst mal Schluss mit lustig ist. Wie halten es eigentlich unsere Nachbarn im Westen mit der fünften Jahreszeit? Selbstverständlich wird auch in Frankreich Karneval begangen, allerdings fallen Karnevalsfeiern dort eher ruhig aus – aber nicht überall.
Sind Franzosen etwa Faschingsmuffel? Dieser Eindruck drängt sich – mal abgesehen von den Werbebotschaften von Reiseveranstaltern und Tourismusbüros – fast auf, liest man im Netz Beiträge deutscher und sogar französischer Nutzer zu dem Thema (zum Beispiel hier oder in diesem Forum). Die von mir befragten französischen Bekannten zuckten jedenfalls zunächst mit den Achseln, als ich wissen wollte, wie es der Franzose denn mit dem Karneval hält und in welchen Regionen die Faschingshochburgen zu finden sind. Nizza fiel den meisten noch ein, das war’s dann aber auch. Eine aus Paris stammende Französin meinte, dass in der Hauptstadt Fasching sowieso nur für Kinder von Bedeutung sei. Diese würden am letzten Tag vor Aschermittwoch verkleidet in die Schule gehen und mit Konfetti um sich werfen. Doch auch die Großen dürfen sich über einen kleinen Umzug am Faschingssonntag freuen – da ziehen die Pariser Narren durch die Straßen der französischen Hauptstadt. Und eine gute Freundin aus der Vendée erzählte mir, wie sie früher in ihrem Dorf von Haus zu Haus gegangen seien und Schmalzgebackenes gegessen hätten.
Angst vor Aufruhr: Napoleon verbot Karnevalsfeiern
Tatsächlich nahm auch ich während meiner Studienzeit 2006 in Rennes keine nennenswerten Faschingsaktivitäten wahr – lediglich am Faschingsdienstag zog eine Schar Kinder mit Masken durch die Straßen der bretonischen Hauptstadt.
Doch was mag der Grund dafür sein? Liegt es vielleicht daran, dass Napoleon das Feiern des Karnevals verbot, weil er Revolutionen fürchtete? Die Aufklärung nannte das Fest einen Aberglauben. Aber vielleicht vergleichen wir auch gerade Äpfel mit Birnen.
Am besten finde ich hat Dr. Katja Flinzner in ihrem Blog die Unterschiede zwischen deutschem und französischem Karneval auf den Punkt gebracht:
“Auch in Frankreich wird dieser Tage Karneval gefeiert, allerdings gibt es kein so konzentriertes Äquivalent zum deutschen Straßenkarneval, der sich hauptsächlich zwischen Weiberfastnacht und Karnevalsdienstag abspielt.”
Und auf connexion-francaise.com liest man:
“Tu es francais en Allemagne quand tu ne vois pas le rapport entre “carnaval” et boire jusqu’au coma étylique pendant plusieurs jours de suite.”
Auch für die Französin Audrey war dieses kollektive Betrunkensein von früh bis spät in der Woche vor dem Aschermittwoch in Deutschland eine ganz neue Erfahrung, wie sie in ihrem Blog schreibt.
Blumenschlachten in Nizza, Heringswurf in Dünkirchen
Doch es gibt ja noch Nizza. Die Stadt zählt zu den Top-Karnevalshochburgen weltweit – nach Rio und Venedig. Die Wurzeln des nizzanischen Karnevals reichen bis ins 13. Jahrhundert zurück, auch wenn die festlich geschmückten Wägen erst seit 1876 überliefert sind. Vom 15. bis zum 29. Februar 2020 finden in diesem Jahr tagsüber und nachts zahlreiche Umzüge mit Tänzern, Gauklern und Akrobaten aus aller Welt statt, die Straßen werden von Hunderttausenden von Zuschauern gesäumt. Beim Betrachten der Bilder dachte ich eher an den brasilianischen als an den rheinländischen Karneval. Verkleidungen unter den Zuschauern sind bei den offiziellen Umzügen allerdings die Ausnahme, nicht die Regel.
Natürlich hat auch der Karneval von Nizza ein Motto: In diesem Jahr regiert der “König der Mode” über das farbenfrohe Spektakel an der Côte d’Azur. Statt Kamelle fliegen bei den berühmten Blumenschlachten Mimosen, Lilien und Margeriten der Region ins Publikum, das überwiegend aus Touristen besteht. Bei den Umzügen ziehen außerdem Motivwagen mit überdimensionalen Pappmaché-Figuren über die berühmte Promenade des Anglais entlang der Mittelmeerküste. Höhepunkt der zweiwöchigen Festivitäten ist schließlich die Verbrennung des Karnevalskönigs am Strand und ein riesiges Feuerwerk.
Allerdings: Der nizzanische Karneval ist nichts für Feierwütige, es ist ein Karneval “zum Angucken, nicht Mitmachen” – so heißt es. Er ist weniger interaktiv als in Deutschland, die Leute bewundern das fantasievolle Spektakel aus gebührender Distanz. Es handelt sich daher eher um ein großes Live-Event als um einen volkstümlichen Karneval. Außerdem bezahlt man Eintritt (zwischen 20 und 40 Euros für Erwachsene), um auf einer der Tribünen an der Zugstrecke Platz nehmen zu dürfen. Als Antwort auf das von der Tourismusbehörde generalstabsmäßig geplante Ereignis, haben sich in einzelnen Vierteln der Stadt eigene kleine Feiern ausgebildet, die für alle zugänglich sind.
Mehr Informationen zum Karneval in Nizza (auf Französisch) gibt es auf der offiziellen Website.
Volkstümlicher und ausgelassener gibt sich da das Gegenstück im Norden, die Fischer-Fastnacht von Dünkirchen (11. Januar – 19. April 2020). Dort ist der feierfreudige Besucher nicht nur passiver Zuschauer wie in Nizza, sondern er wird aktiv in das bunte Treiben einbezogen. Auf den Seiten der Stadt Dünkirchen heißt es hierzu: “On n’est pas spectateur au carnaval de Dunkerque puisqu’il n’est pas un “spectacle”. On devient très vite acteur parmi des milliers d’autres acteurs.” Drei Monate herrscht in dem nördlichsten Städtchen Frankreichs mit der langen Fischereitradition Ausnahmezustand. An jedem Wochenende gehen mehrere Faschingsbälle über die Bühne (hier eine Übersicht über die Faschingsbälle 2020 in Dünkirchen), darüber hinaus schlängelt sich ein Umzug nach dem anderen durch die Hafenstadt – immer vorneweg marschiert übrigens ein Tambourmajor in alter Grenadier-Uniform, der den “carnavaleux”, also den Faschingsfreunden, den Weg weist. Die Ursprünge des Karnevals von Dünkirchen liegen vermutlich im 17. und 18. Jahrhundert. Die Kapitäne organisierten damals für die Seeleute ihrer Fangflotte ein Festessen am Tag vor ihrer gefährlichen Fahrt zu den isländischen Fanggründen, bei dem auch viel Alkohol floß. Kein Wunder, dass die Verkleidungen heute noch sich überwiegend am Seemannsumfeld orientieren und Lieder gesungen werden wie von den Fischern damals, z. B. Putain d’Islande (hier kann man sich den Faschingsklassiker im YouTube-Video anhören) Charakteristisch für den Karneval in Dunkerque sind auch die bunten und fantasievoll gestalteten Schirme am überlangen Stiel.
Höhepunkt des Dünkirchener Karnevals ist der sogenannte Heringswurf (le jet de harengs). Der Bürgermeister und seine Stadträte werfen vom Balkon des Rathauses aus Heringe auf die feiernde Menschenmenge. Anstatt nach Bier und Schweiß “stinken” die Karnevalsteilnehmer danach also nach Fisch.
Die französische Wochenzeitung “Express” hat 2008 den Karneval von Nizza und den Dünkirchener Karneval in fünf Kategorien (Stimmung, Einbezug der Bewohner, Bekanntheit, Budget, Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft) miteinander verglichen. Als Sieger dieses Duells der beiden Faschingshochburgen ging Nizza hervor (3:2). Für Besucher ist es eine Frage des persönlichen Geschmacks: Will ich ein buntes, faszinierendes Spektakel erleben, dann ist der Süden die richtige Wahl, echte Jecken hingegen kommen im Norden voll auf ihre Kosten. Damit entkräften die Sch’tis eindrucksvoll das Voruteil der Süd-Franzosen, die Landsleute im Norden seien finster und verschlossen (das dem nicht so ist, hat ja auch schon der Film “Willkommen bei den Sch’tis” gezeigt). 😉
Doch außer in Nizza und Dünkirchen stehen auch in zahlreichen anderen Städten Karnevalsumzüge auf dem Programm.
Zitronenfest in Menton: 150 Tonnen Zitrusfrüchte in Bewegung
Mehr ein Frühlingsfest als eine Karnevalsveranstaltung findet nur wenige Kilometer von Nizza entfernt während der Karnevalszeit alljährlich in Menton statt. Menton war einst der größte Produzent von Zitronen und Zitrusfrüchten in Europa. Diese Vergangenheit wird beim Zitronenfest (Fête du Citron) vom 15. Februar bis zum 3. März 2020 wieder lebendig, bei dem sich über 150 Tonnen Zitrusfrüchte in Form fantasievoller Tier-Figuren und anderer Gestalten durch die Stadt in Bewegung setzen. In diesem Jahr geht das farbenfrohe Spektakel bereits zum 87. Mal über die Bühne. Das Motto lautet heuer: Feste rund um den Globus. Die Stadt Menton lässt sich dieses Frühjahrs-Event jährlich über 1 Million Euro kosten. Wenn Sie also einen Trip nach Nizza zum dortigen Karneval planen, sollten Sie auf jeden Fall auch eine Teilnahme am Frühlingsfest in der Nachbarstadt einplanen.
Den “längsten Karneval der Welt” feiert Limoux im Südwesten Frankreichs, und zwar vom 19. Januar bis zum 29. März 2020. Bei den Paraden in Limoux ziehen die Teilnehmer in Pierrotkostümen und mit geheimnisvoll anmutenden Masken durch die Stadt. Die Umzüge behandeln lokale Ereignisse aus Politik und Sport. Der Karneval in Limoux geht Ende März mit der “Nuit de la Blanquette” und dem Verbrennen des Karnevalskönigs zu Ende.
Eine Übersicht über Faschingsveranstaltungen in weiteren Städten Frankreichs finden Sie auf dieser Seite.
Was auffällt: Während in Deutschland am Aschermittwoch tatsächlich Schluss ist mit dem karnavalesken Treiben, reichen in Frankreich Karnevalsfeiern in einigen Städten zum Teil in die Fastenzeit hinein (z. B. in Nizza, Dünkirchen, Limoux etc.). Eine französische Besonderheit ist übrigens “Mi-Carême”, der Tag in der Mitte der Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern, der bis ins 20. Jahrhundert hinein vom ursprünglichen Karneval getrennt war. Bei den damals an diesem Tag stattfindenden Pferde-Umzügen, cavalcades genannt, wurde anstatt eines Faschingskönigs eine Wäscherin aus dem jeweiligen Ort zur Königin erhoben. Heute dürfen sich an Mi-Carême die Kinder nochmal verkleiden, außerdem werden traditionell Crêpes aufgetischt. Diese Pause nach der Hälfte der Fastenzeit sollte diese lange Phase des Verzichts erträglicher machen und Ansporn für die letzte Etappe bis zum Osterfest sein. Außerdem wollte man angeblich noch die von Mardi Gras übrig gebliebenen Eier loswerden, da diese die 40 Tage sonst nicht überlebt hätten.
Die Fastenpause “Mi-carême” verliert an Bedeutung
Aber da in Frankreich die Praxis des Fastens kaum noch praktiziert wird, verliert der “Mi Carême-Tag seine bisherige Bedeutung. An einer Stelle im Netz habe ich hierzu die folgenden schönen Worte gefunden: “Kein ausgelassener Karneval ohne Fastenzeit.”
Zurück zur Ausgangsfrage: Auch wenn der Karneval für viele Franzosen vermutlich nicht den Stellenwert besitzt wie in Deutschland, gefeiert wird auch in Frankreich, allerdings unterscheiden sich auch hier die Bräuche und Traditionen von Region zu Region – der Karneval im Norden ist ein ganz anderer als der im Süden. Die Eröffnung des Faschings wird in Frankreich, anders als bei uns, kaum gefeiert. Die meisten Umzüge finden in der Woche vor dem Faschingsdienstag statt. Der Tag vor dem Aschermittwoch, Mardi Gras genannt, ist auch in Frankreich ein besonderer Tag.
An diesem ziehen Kinder verkleidet durch die Straßen und wird in den Familien der “fette Dienstag” klassisch mit beignets (französische Krapfen) sowie Crêpes gefeiert. Allerdings sehen die französischen “Krapfen” ein bisschen anders aus als die deutschen. Wie beignets zubereitet werden, erfahren Sie hier. Aber: Krapfen ist in Frankreich nicht gleich Krapfen. Jede Region hat ihr eigenes Rezept, einen anderen Namen und andere Formen. Die süßen Teile heißen bugnes, oreillettes oder merveilles … allen aber ist gemeinsam, dass sie in heißem Fett fritiert und anschließend in Zucker gewendet werden. In unserer Partnerstadt in der Vendée heißen die Krapfen bottereaux.
Es gibt auch einige Lieder und Reime, die im Fasching zu hören sind. Hier ein Abzählreim mit dem Titel “Mardi Gras”:
Mardi gras est mort
Il faut l’enterrer
Sa femme qui pleure
Faut la consoler
En une, en deux, en trois,
Saute mardi gras.
Weitere Reime findet man auf der Seite momes.net.
Doch auch wenn der Karneval lokal unterschiedlich begangen wird, das Prinzip bleibt überall das Gleiche: Man lässt sich mal so richtig gehen (die einen mehr, die anderen weniger) und soziale Hierarchien spielen für einen Moment lang keine Rolle, sind hinter der Maske doch alle gleich.
Übrigens: In Frankreich gilt ein Gesetz, dass die Verschleierung des Gesichts unter Strafe stellt – Ausnahmen gelten nur für den Karneval.
Und welche Erfahrungen haben Sie mit dem Fasching in Frankreich gemacht? Erzählen Sie mir von Ihren Erfahrungen im Kommentarbereich im Anschluss an diesen Artikel.
Bild oben: Gratisography.com
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