Dass das Französische unter Schülern auch aufgrund seiner Grammatik nicht den besten Ruf genießt, lässt sich nachvollziehen, wenn man einmal die Pluralbildung in der Sprache unserer Nachbarn genauer unter die Lupe nimmt. Denn diese hat es durchaus in sich. Der “Frankreich Fan” bringt in diesem Artikel ein wenig Licht in dieses dunkle Kapitel französischer Grammatik.
Die Pluralbildung bei einfachen Nomen
Die gute Nachricht vorweg: Keine Schwierigkeiten bereitet die Pluralbildung im Französischen bei den meisten einfachen Nomen. Hier wird einfach ein Plural -s an das Ende des Wortes angehängt.
Beispiele:
- l’avion (das Flugzeug) –> les avions (die Flugzeuge)
- la ville (die Stadt) –> les villes (die Städte)
- la maison (das Haus) –> les maisons (die Häuser)
Substantive, die auf s, x oder z enden, bleiben im Plural unverändert.
Beispiele: le bras (der Arm) –> les bras (die Arme), la croix (das Kreuzl) –> les croix (die Kreuze), le nez (die Nase) –> les nez (die Nasen)
Ebenfalls unverändert bleiben Abkürzungen wie BD (les BD) oder CD (les CD) sowie Zahlen (außer zéro) in der Mehrzahl: J’ai écrit des un dans le cahier.
Und wie sieht die Mehrzahl-Bildung bei den wenigen Substantiven mit -al Endung aus? Nun, diese bilden den Plural in der Regel auf -aux, also le journal (die Zeitung) –> les journaux (die Zeitungen), le cheval (das Pferd) –> les chevaux (die Pferde).
Ausnahmen:
- le bal –> les bals (die Bälle)
- le festival –> les festivals (die Festivals)
- le carnaval –> les carnavals (die Karnevals)
- etc.
Mit diesem Reim können Sie sich einige der Ausnahmen (bal, chacal, régal) leichter einprägen: Les bals des chacals sont de vrais régals.
Übrigens: Wenn Sie Karneval-Fan sind, sollten Sie dieser Seite meines Blogs unbedingt mal einen Besuch abstatten.
Weitere Regeln:
- Endung -ail: Die meisten Substantive auf -ail bilden den Plural auf -s. le rail –> les rails (Ausnahmen: le travail –> les travaux, le bail –> les baux)
- Endung -ou: Die meisten Nomen auf -ou haben eine Pluralform auf -s: le clou –> les clous.
Diese Eselsbrücke soll Ihnen helfen, die sieben Ausnahmen (bijou, chou, hibou, pou, caillou, genou, joujou) bei der Pluralbildung von Nomen mit der Endung -ou im Kopf zu behalten:
Venez mes choux, mes bijoux, mes joujoux sur mes genoux et jetez des cailloux à ces hiboux plein de poux !
Übersetzung: Kommt meine Lieblinge, meine Schmuckstücke, meine Spielzeuge kommt auf meine Knie und werft mit Steinchen auf diese Eulen voller Läuse!
Zusammengesetzte Nomen: Keine Regeln, nur Tendenzen
Doch nun zu den Fällen, die nicht nur dem Französischlernenden, sondern auch dem Franzosen das Leben mitunter zur Hölle machen.
Die Rede ist von den zusammengesetzten Substantiven. Hier gibt es zwar Regeln, welche aber nur Tendenzen darstellen, da es oft nicht wenige Ausnahmen gibt. Im Zweifelsfall sollten Sie ein Wörterbuch konsultieren, zum Beispiel die Online-Ausgabe des Larousse.
Die Rechtschreibreform von 1990 (franz. Rectification de l’orthographe du français) sollte hier für eigentlich für eine Vereinfachung sorgen. Damit tut sie sich aber schwer, da sie nur eine Empfehlung darstellt und nicht verbindlich ist – zumindest nicht für Sprachbenutzer und Verlage. Allerdings sollen die neuen Regeln im Unterricht gelehrt werden. “L’orthographe révisé est la référence” verkündete das Erziehungsministerium 2008 offiziell. Dennoch kümmert das die meisten Schulbuchverlage nur wenig, die weiterhin Bücher mit der alten Rechtschreibung herausgeben. Es ist schon bezeichnend, wenn die Tageszeitung “Le Parisien” über 20 Jahre nach der Reform titelt: “Savez-vous que les règles d’orthographe ont changé?”
Aber kehren wir zu unseren Schäfchen (“Revenons à nos moutons”) bzw. zum Thema dieses Beitrags zurück: der Pluralbildung zusammengesetzter Nomen.
Werden diese in einem Wort geschrieben, wird ebenso wie bei den einfachen Substantiven lediglich ein -s angehängt. Beispiele: un entresol, des entresols; un bonjour, des bonjours; un passeport, des passeports; Aber: monsieur (messieurs), madame (mesdames), mademoiselle (mesdemoiselles), monseigneur (messeigneurs), gentilhomme (gentilshommes), bonhomme (bonshommes).
Ansonsten gilt: Nur Nomen und Adjektive können im Französischen in die Mehrzahl gesetzt werden. Adverbien, Verben, Adjektive und Präpositionen bleiben hingegen stets unverändert.
Hier die “Regeln” bei zusammengesetzten Nomen im Überblick:
a) Nomen + Nomen
Bei Verbindungen aus zwei Nomen werden beide Bestandteile in die Mehrzahl gesetzt.
Beispiele:
le chef-lieu –> les chefs-lieux (die Hauptorte)
le centre-ville –> les centres-villes (die Stadtzentren)
le mot-clé –> les mots-clés (die Schlüsselwörter)
Ausnahme: Stellt das zweite Nomen eine präpositionale Ergänzung zum ersten dar, bleibt es im Singular. Also les timbres-poste, aufgrund von les timbres pour la poste. Außerdem: une année-lumière, des années-lumière (weil: distance parcourue en plusieurs années par la lumière). Oder les pauses-café (da une pause pour le café)
Bei zwei ohne Bindestrich verbundenen Substantiven wird nur das erste in den Plural gesetzt. Beispiel: un appareil photo, des appareils photo.
b) Adjektiv + Nomen
Beispiel:
le coffre-fort –> les coffres-forts (die Tresore)
le bec-fin –> les becs-fins (die Feinschmecker)
la petite-fille –> les petites-filles (die Enkelkinder)
la belle-mère –> les belles-mères (die Schwiegermütter)
le rouge-gorge –> les rouges-gorges (die Rotkehlchen)
Auch bei Kombinationen aus einem Adjektiv und einem Nomen erhalten beide Bestandteile ein Pluralkennzeichen.
Ausnahme: Folgt auf das Adjektiv grand ein weibliches Nomen, bleibt es unverändert: les grand-mères (grand ohne -s). Ebenso verhält es sich beim Adjektiv demi in Verbindung mit einem Nomen (des demi-journées).
c) Verb + Nomen bzw. Verb
Ist ein Verb mit einem Nomen oder mit einem anderen Verb verbunden, bleibt der erste Teil der Zusammensetzung unveränderlich. Der zweite Teil bildet die Mehrzahl nur, wenn er eine zählbare Sache bezeichnet.
Beispiele:
l’ouvre-boîte –> les ouvre-boîtes (die Dosenöffner)
le laisser-passer –> les laisser-passer (die Passierscheine)
d) Adjektiv + Adjektiv
Wird ein zusammengesetztes Nomen durch zwei Adjektive gebildet, erhalten beide eine Pluralkennzeichnung im Französischen.
Beispiele:
le sourd-muet –> les sourds-muets (die Taubstummen)
le dernier-né –> les derniers-nés (die Nesthäckchen)
e) Präposition + Nomen
Ist eine Präposition mit einem Nomen verbunden, bleiben beide Elemente unverändert.
Beispiele:
l’après-midi –> les après-midi (die Nachmittage)
le hors d’oeuvre –> les hors d’oeuvre (die Vorspeisen)
Exkurs: die neuen, einfacheren Rechtschreib-Regeln
Nach der neuen Rechtschreibung erhält bei Zusammensetzungen aus Nomen und Verb sowie aus Nomen und Präposition immer und nur das letzte Element ein Plural -s, wenn das Nomen in der Mehrzahl steht. Beispiele:
- l’essuie-main –> les essuie-mains
- l’abat-jour –> les abat-jours
- l’aide-mémoire –> les aide-mémoires
- l’après-midi –> les après-midis
- le sans-abri –> les sans-abris
Vor der Rechtschreibreform schrieb man compte-gouttes auch im Singular mit einem Plural -s, beim Übergang in den Plural fand dann keine Veränderung mehr statt. Après-midi wurde früher in der Mehrzahl ohne finales s geschrieben, jetzt darf man es auch mit -s schreiben.
Beginnt das Nomen allerdings mit einem Großbuchstaben (un prie-Dieu –> des prie-Dieu) oder steht ein Artikel davor (un trompe-la-mort –> des trompe-la-mort), erhält es keine Pluralkennzeichnung.
Bei zusammengesetzten Substantiven aus Nomen + Präposition + Nomen wird nur das erste Substantiv in den Plural gesetzt. Beispiel: un chef-d’oeuvre –> des chefs-d’oeuvre
Wörter ausländischen Ursprungs werden im Französischen wie einfache französische Substantive behandelt und erhalten ein einfaches Plural -s. Beispiel: le match –> les matchs (früher: les matches).
Die Mehrzahl bei Familiennamen
Bei Familiennamen wird in gepflegtem Französisch in der Regel kein -s angefügt. Wie ich in einem aktuellen Grammatikbuch allerdings gelesen habe, wird es nicht mehr als Fehler betrachtet, wenn man “les Duponts” anstatt “les Dupont” schreibt.
Fürstennamen hingegen erhalten ein -s: les Tudors, les Bourbons. Ebenso die Werke bekannter Künstler: les Picassos, les Monets. Markennamen bleiben im Plural unverändert: des Peugeot.
Nomen, die nur im Plural stehen
Es gibt im Französischen einige Nomen, die nur im Plural verwendet werden.
Beispiele:
- les lunettes (die Brille)
- les vacances (die Ferien)
- les épinards (der Spinat)
- les toilettes (die Toilette)
- les dégâts (der Schaden)
- etc.
Beachten Sie, dass diese Nomen im Singular unter Umständen eine völlig andere Bedeutung besitzen, zum Beispiel la lunette (das Fernrohr).
Der Plural bei Sammelnamen
Sammelnamen wie “personnel” werden nie in den Plural gesetzt. Man sagt also “l’ensemble du personnel” und nicht “l’ensemble des personnels”. Nur in einem Fall darf das Wort im Plural verwendet werden, wenn damit unterschiedliche Kategorien von Individuen bezeichnet werden sollen. Zum Beispiel in der Wendung “ziviles und militärisches Personal”: l’ensemble des personnels civiles et militaires.
Hier eine sehr ausführliche Liste mit zusammengesetzten Substantiven und der jeweiligen Pluralform: http://www.logilangue.com/public/Site/clicGrammaire/ListNomsAdjCompos.php
Tipp: Lernen Sie am besten zu jedem Nomen nicht nur den Artikel, sondern auch gleich die richtige Pluralform mit!
Hier nochmal ein Video mit allen Regeln zur Pluralbildung im Französischen:
Sie wollen Ihre neu erworbenen Grammatik-Kenntnisse gleich in der Praxis testen? Voilà: http://www.etudes-litteraires.com/exercices/orthographe-3-pluriel-noms-composes.php
Last but not least. Wussten Sie, dass es Wörter gibt, die im Plural sogar ihr Geschlecht verändern, z. B. “amour”? So schreibt Charles Baudelaire in “Moesta et Errabunda”: Mais le vert paradis des amours enfantines … Allerdings wird die Liebe nur im literarischen Sprachgebrauch als weiblich betrachtet. Ein abschließendes Beispiel dafür, dass die französische Sprache mindestens so eigenwillig ist wie die Liebe. Und selbst von den eigenen Leuten kritisch gesehen wird. So schrieb der französische Schriftsteller und Philosoph Paul Valéry einst:
“L’absurdité de notre orthographe, qui est, en vérité, une des fabrications les plus cocasses du monde, est bien connue. Elle est un recueil impérieux ou impératif
d’une quantité d’erreurs d’étymologie artificiellement fixées par des décisions inexplicables.”
Aber dafür liebe ich “meine” Franzosen auch so sehr – auch wenn ich es mir manchmal selbst nicht erklären kann. 🙂
Bild oben: Gratisography.com