Jedes Jahr feiern Millionen Franzosen am letzten Freitag im Mai das traditionelle Nachbarschaftsfest, auf Französisch “Fête des voisins” oder “Immeubles en fête” genannt. Das mittlerweile weltweit bekannte Fest soll die Einsamkeit in der Großstadt-Anonymität bekämpfen und die Bewohner eines Wohnhauses, eines Stadtviertels oder einer Straße für ein paar vergnügliche Stunden zusammenbringen.
Das Nachbarschaftsfest geht auf eine Initiative des Pariser Stadtrats Atanasé Périfan zurück, der mit drei Freunden 1990 den Verein “Paris d’Amis” gründete. “Pas de quartier pour l’indifférence” lautet dessen Motto. 1999 stellte der Verein in Périfans Viertel im 17. Arrondissement von Paris das erste “Fête des voisins” auf die Beine. An der Premierenveranstaltung beteiligten sich rund 800 Wohnhäuser und 10.000 Menschen. Anlass war eine Zeitungsmeldung über eine ältere Dame, die erst Monate nach ihrem Tod in ihrer Wohnung gefunden wurde. Keiner ihrer Nachbarn hatte sie vermisst.
Ab dem Jahr 2000 wurde das Nachbarschaftsfest auch in anderen französischen Gemeinden gefeiert, die Kommunen selbst wurden als Partner mit ins Boot geholt. Seit 2004 wird das Fest unter dem Namen “European’s Neighbour Day” europaweit in über 150 Städten begangen – auch in Deutschland (z. B. in Frankfurt). Das letzte Mal fand es am 29. Mai 2015 unter Mitwirkung von acht Millionen Teilnehmern und über 1000 Gemeinden allein in Frankreich statt.
Besseres Zusammenleben, wenn man Nachbarn kennt
Wer an diesem Tag mit den Bewohnern von nebenan ein Fest feiern will, sollte sich an die Verwaltung in seiner Kommune wenden, um sich dort in eine Liste eintragen zu lassen. Man erhält dann zu Werbezwecken auch offizielle Einladungen und Plakate, die an die Nachbarn verteilt werden können. Mehr Informationen gibt es auf der offiziellen Website. Dort kann man zu den Zielen der Initiative folgendes lesen:
“Dans une société où se développe le repli sur soi et la peur de l’autre, nous voulons simplement affirmer que connaître ses voisins permet de mieux vivre ensemble.
Au-delà d’une soirée de fête dans l’année, nous souhaitons renforcer au quotidien les petits services entre voisins et pourquoi pas, une solidarité de proximité.”
“In einer Gesellschaft, wo sich Menschen zunehmend abschotten und Angst vor den anderen haben, wollen wir einfach zum Ausdruck bringen, dass man besser zusammenlebt, wenn man seine Nachbarn kennt. Unabhängig von einem gemeinsam verbrachten Abend im Jahr möchten wir die Nachbarschaftshilfe im Alltag sowie die nachbarschaftliche Solidarität insgesamt fördern.”
Auch SNCF, Carrefour & Co. feiern Solidarität und sozialen Zusammenhalt
Der Erfolg des Nachbarschaftsfestes hat dazu geführt, dass nun auch Unternehmen den Tag für ihre kommerziellen Interessen vereinnahmen. So wird seit zwei Jahren auch in den Barabteilungen der TGVs gefeiert. Und Supermärkte wie Carrefour gewähren Rabatt auf Knabbersachen, Aperitifs & Co. – also auf alles, was man für die Ausrichtung einer Party mit den Nachbarn benötigt. Nicht nur die Umsätze sollen so steigen, auch die Marke bekommt so einen sympathischen Anstrich. Die Zeitung “Le Figaro” befürchtet, das Nachbarschaftsfest könne wie der St. Patricks Tag oder Valentinstag als Konsum-Fest enden.
Dass es in Frankreich – wie auch in anderen Ländern auch – nicht immer so harmonisch zugeht, wo mehrere Parteien unter einem Dach wohnen, beweist der Blog http://chersvoisins.net, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, die “liebenswertesten” Hinweise an die Nachbarn zu sammeln.