Paris ma belle, wir müssen reden. Wir kennen uns jetzt schon fast zwei Jahrzehnte und ich bin immer noch fasziniert von dir wie am ersten Tag. Doch es gibt da ein paar Dinge, die ich nicht länger vor dir verschweigen mag. Hier meine 5 Gründe, warum du leider nicht (mehr) die perfekte Liebhaberin bist.
1. In deinem Untergrund legt man viel zu weite Wege zurück
Mit deiner Métro kommt man in vielen Fällen am schnellsten und günstigsten von A nach B. Doch wenn man Pech hat, muss man ein oder mehrere Male in deinem Untergrund den Zug wechseln. Einige dieser Umsteigebahnhöfe haben es wirklich in sich. Im ungünstigsten Fall ist mit Fußmärschen von zehn Minuten zu rechnen, um von einem Bahnsteig zum nächsten zu laufen. Manchmal verkürzen einem lange Laufbänder wie am Flughafen den Weg. War bei der Planung deiner U-Bahn etwa „schiere Dummheit am Werk“, wie Klaus Schüle in seinem Buch „Paris – Vordergründe/Hintergründe/Abgründe“ urteilt. Denn die Umsteigebahnhöfe wurden in Paris nebeneinander, und nicht etwa übereinander wie in London, gelegt. Megastationen wie Châtelet-Les Halles meide ich daher zum Umsteigen wie der Teufel das Weihwasser. Ach ja, außerdem stinkt es in den Gängen an vielen Ecken nach menschlichen Ausscheidungen, die niemand gerne in der Nase hat. Womit wir beim nächsten Punkt angelangt wären, warum du für die Rolle der perfekten Liebhaberin noch an dir arbeiten musst.
2. Deine Sauberkeit lässt manchmal echt zu wünschen übrig
Jedes Jahr wirst du von mehr als 30 Millionen Menschen aus aller Herren Länder besucht, Reiseführer verklären dich zurecht als “romantische Stadt”. Denn du zeigst dich an den touristischen Hotspots auch stets von deiner Schokoladenseite. Doch kaum entfernt man sich ein paar Métro-Stationen von den Champs-Elysées in Richtung Norden oder Osten, sieht es mancherorts alles andere als romantisch aus. Ob wild auf dem Trottoir entsorgter Sperrmüll, achtlos weggeworfene Zigarettenkippen oder Hundekot, oft sind es nicht einmal die Touristen, die dich besudeln; deinen eigenen Bewohnern fehlt der Respekt vor der Umwelt. Aber jetzt ist Schluss mit lustig, die Stadt Paris hat den kleinen Regelübertretungen (“petites incivilités”) im Alltag den Kampf angesagt. Tausende Müll-Cops patrouillieren nun durch die Stadt, belehren Umweltsünder und verteilen Strafzettel. Neulich hat die Stadt publicitywirksam einen offiziellen Großreinemachtag veranstaltet, bei dem sogar die Bürgermeisterin mit angepackt hat. Da wurde überall gemeinsam gefegt, Müll gesammelt und entsorgt. Du musst es mit der Sauberkeit ja auch nicht übertreiben wie Singapur, ma belle.
3. Dein ständiger Lärm macht auf Dauer krank
Lärm macht auf Dauer krank, das ist wissenschaftlich erwiesen. Mehr als ein Fünftel deiner Bewohner fühlen sich durch den ständigen Lärm in deiner Stadt in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt, so das Ergebnis einer aktuellen Umfrage. Vor allem die zweirädrigen motorisierten Gefährte, die durch die Stadt knattern sowie der Autoverkehr lassen den Adrenalinspiegel in die Höhe schnellen. Auch das permanente Sirenengeheul von Feuerwehr und Krankenwagen geht nicht nur den Parisern auf den Keks. Wie ich allerdings gelesen habe, sind dir die negativen Auswirkungen bekannt und du arbeitest an deinem Lärm-Problem? So sollen die berühmt-berüchtigte Ringautoba und zentrale Verkehrsachsen zumindest teilweise mit einem Flüsterasphalt ausgestattet werden. Deine Bewohner klärt man zudem über Entstehung und Vermeidung von Lärm auf. Das ist doch schon mal ein Anfang, meine Liebe. Wohl dem, der in Paris ein Haus oder eine Wohnung auf der Butte Bergeyre oder in der Village des Peupliers („Dorf der Pappeln“) sein Eigen nennen darf. Denn die wohltuende Stille in diesen dorfähnlichen Ecken stehen in deutlichem Kontrast zum Rest der Stadt. Hier vernimmt man mitten in der Großstadt auch noch Vogelgezwitscher, kein Witz. Paris, du bist so eine laute Stadt, ruhiger wirst du meist erst im Sommer. Aber, ach ja, der Sommer…
4. Im Sommer bist du die reinste Sauna
Du bist eine echt heiße Stadt, mit dir kann man in jeder Jahreszeit Spaß haben. Außer während der Sommermonate. Denn im Sommer flirrt die Luft, brennt der Asphalt und rinnt der Schweiß in Sturzbächen vom Kopf. Selbst ein eiskaltes Perrier vermag da keine Kühlung mehr zu verschaffen. Das altehrwürdige Pflaster deiner Stadt heizt so ungeheuerlich auf, dass einem der Aufenhalt im Freien im Juli und August wahrlich verleidet wird und deine Bewohner vor der brutalen Hitze (auch “canicule” genannt) ans Meer flüchten. Natürlich bietest du im Sommer auch den Daheimgebliebenen und Touristen Strandfeeling an, seit neuestem kann man sogar wieder im Ourcq-Kanal schwimmen. Auch in Kirchen, Museen und klimatisierten Kaufhäusern ist der Aufenthalt erträglich. Aber dich und deine Sehenswürdigkeiten im Sommer kilometerweit erlaufen, wie ich es im Frühjahr und Herbst so gerne mache? Impossible! Daher werde ich dir im Sommer auch (vorerst) keinen Besuch mehr abstatten – désolé ma belle.
5. Nachts kann man nicht mehr unbeschwert durch deine Straßen ziehen
Ich gebe zu: Bis vor vier Jahren habe ich mich sehr unvorsichtig verhalten. Ich bin nachts alleine durch deine Viertel geschlendert, in denen man selbst tagsüber kaum Touristen sieht. Alle Warnungen vor Gaunern und Ganoven habe ich damals in meiner naiven Verliebtheit in den Wind geschlagen. Auch mein Smartphone und mein Tablet habe ich ungeniert in aller Öffentlichkeit benutzt, was man besser nicht machen sollte, da Langfinger überall sein können. Wahrscheinlich musste ich erst durch einen unschönen Zwischenfall wachgerüttelt werden. Ich hätte ich es niemals für möglich gehalten, in einer kleinen Seitenstraße in der Nähe des Louvre ausgeraubt zu werden. Doch tatsächlich ist genau das eines Tages leider passiert… Vorfälle, die man nur aus der Zeitung kannte, wurden auf einmal Realität, plötzlich war man selbst das Opfer. Gott sei Dank bin ich damals mit einem blauen Auge davon gekommen. Doch seit diesem Tag und aufgrund der latenten Terrorgefahr, die mittlerweile ein ständiger Begleiter im Alltag ist, hast du deine anfängliche Unschuld für mich verloren, Paris.
Fluctuat nec mergitur – das soll auch für unsere Beziehung gelten
So, nach dieser Aussprache fühle ich mich erleichtert und du weißt, woran du bist. Natürlich konnte ich dir nur meine Sicht als Tourist darlegen. Ich hoffe, ich habe dich jetzt nicht in deinem Stolz gekränkt? Sicherlich hätten deine Bewohner noch viel mehr an dir zu kritisieren, zum Beispiel deine exorbitant hohen Mietpreise oder den täglichen Verkehrswahnsinn auf dem Périph’. Aber sei versichert: Auch wenn Paris nicht meine eigentliche Heimat ist, in mir wirst du einen treuen und lebenslangen Gefährten haben. Egal, was in Zukunft kommen mag. Fluctuat nec mergitur, dein jahrhundertealter Wahlspruch soll auch für unsere Beziehung gelten: Sie schwankt hin und wieder, aber sie geht nicht unter.
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